Hybrides Arbeiten: Was Arbeit uns in Zukunft bedeutet
Blog / 28. April 2021 / bei Hans RusinekInhalt:
WARUM ES AUF DIE SINNFRAGE MEHR ALS EINE ANTWORT GIBT
Teaser: Im ersten Teil der Serie zum Zukunftsthema Hybride Arbeit geht es um die Bedeutung, die uns Arbeit im 21. Jahrhundert geben soll: Arbeit ist mehr als nur ein Job. Sie ist Beruf, fast schon Berufung und ein wichtiger Teil unserer Identität. Handelt es sich dabei um eine Lohnarbeitsstelle, dann wird diese zwangsläufig überfrachtet und wir zwangsläufig verkrampft. Ganz anders ist dies bei einem hybriden Verständnis von Arbeit.
Sei nicht nur erfolgreich mit deiner Arbeit, sondern ziehe einzigartigen Sinn daraus, scheint der Imperativ unserer Zeit zu sein.
Bei den tausenden Dingen, die man in Pandemiezeiten vermisst, der Livemusik, dem Ausgehen, den Partys,
den neuen Bekanntschaften, gibt es eine Sache, die ich sicher nicht vermisse: Es ist die immer gleiche Kennenlern-Frage: “Und, was machst du so?”. Sie ist der Dieter Bohlen der Partyfragen, weil sie so harmlos angekumpelt kommt, aber doch eine problematische Grundüberzeugung auf den Punkt bringt. Du bist, was du arbeitest und erst das macht dich zur sinnvollen Existenz. Darüber hinaus gibt es nicht viel zu sagen. Ausflüchte des Befragten gibt es auch kaum, außer vielleicht: “Ich stehe hier mit einem Bier und höre einer dummen Frage zu”.
Für alle, die diese Einordnungsfrage auch schon immer genervt hat, gibt es Hoffnung: Diese Überidentifikation mit dem einem Job steht für eine untergehende Ära der Arbeit, und zwar aus drei Gründen:
1. DER FOKUS AUF DEN EINEN JOB ALS SINNQUELLE BRINGT UNS IMMER MEHR AN GRENZEN
Diese Überidentifizierung mit Arbeit macht uns bewiesenermaßen krank. Die Psychotherapie lehrt, wie instabil es ist, seine Identität auf einer einzigen Tätigkeit zu konstruieren. Die Arbeit ist mit Identitätsbedürfnissen überfrachtet, weshalb unsere Beziehung zur Arbeit deutliche Risse zeigt: Jeder Sechste hat innerlich gekündigt und 85 Prozent sehen ihre Bedürfnisse auf der Arbeit nicht erfüllt.
In der postindustriellen Welt ist unser Werk immer weniger greifbar, wir sind nie ganz fertig, nie ganz zufrieden und beuten uns aus. Es fehlt das fassbare Sinngefühl, das uns Selbstwert gibt; Sinnquellen wie Religion oder Familie sind ebenfalls versiegt. Dieser ganze Sinndruck führt dann ganz praktisch dazu, dass viele eher sonntags Emails beantworten als montags abends ins Kino zu gehen.
Schon heute durch die Erfahrung von vielen im Home Office werden andere Identitätsquellen entdeckt, die uns heilsam und lange verloren erscheinen: Die Nachbarschaft, der Co-Working Space, das Zuhause, vielleicht sogar wieder mehr die Familie
2. VIELLEICHT STELLT SICH SCHON BALD DIE SINNFRAGE IN EINER WELT OHNE ARBEIT
Doch es ist nicht nur das Zerbrechen am Sinndruck, das unser einseitiges Arbeitsverständnis in Zukunft schwierig macht: Die meisten Arbeitsplätze, die es heute gibt, können bald verschwinden, z.B. Versicherungsvertreter. Künstliche Intelligenz wird den Menschen in immer mehr Berufen ersetzen. Es werden neue Berufe entstehen: wie Designer der virtuellen Welt.
Aber es ist naiv zu glauben, dass alle Versicherungsvertreter sich dazu umschulen und eine andere Frage, ob wir uns eine virtuelle Welt vorstellen wollen, die von Ex-Versicherungsvertretern geschaffen wurde, wie Yuval Harari schreibt. Er fragt deshalb nach dem Sinn des Lebens in einer Welt gerade ohne oder mit weniger Arbeit.
Was unsere Eingangsfrage auf den Kopf stellt.
3. UNSER ARBEITSVERSTÄNDNIS BLENDETE BEREITS HEUTE VIELE TÄTIGKEITEN AUS
Nicht zuletzt fußt die Frage nach dem Sinn in der einen Arbeit auf einem Arbeitsverständnis, das schon immer vieles ausgegrenzt hat: Sorge-Arbeit, Haushaltsarbeit, Ehrenamt – solange solche Arbeiten nicht mitgemeint sind, wird keine progressive Arbeitsidentität konstruiert. Dieser enge Arbeitsbegriff darf in Zukunft, wenn wir sie mal normativ verstehen wollen, keinen Platz finden.
Wenn diese einseitige Sicht auf eine Arbeit also überwunden ist, was kommt dann an ihre Stelle?
DU BIST MEHR ALS NUR DEIN JOB
Vielleicht etwas, das wir Hybrides Arbeiten nennen könnten:
Erste Signale erlebt man schon heute, etwa wenn man von Berufseinsteigern Sätze hört wie „Freitags geht nicht, da arbeite ich an meiner Graphic Novel“ oder: „Ich möchte neben dem Job meine Ausbildung zur Systemischen Therapeutin machen können“.
Diese Hybride Arbeit hat Standbein und Spielbein. Hier haben Menschen mehrere Sinnquellen für sich entdeckt und empfinden das Festlegen auf eine Arbeit, auf eine Art, wie sie sich von außen (und ein bisschen auch von innen) definieren lassen, als Einschränkung.
Wer so wirkt, schafft psychologische Sicherheit, weil sie den Sinndruck auf eine Tätigkeit senkt – und damit bewiesenermaßen sogar die Performance im „klassischen“ Job steigert (Sessions et al., 2020).
Sie schafft Innovation, weil in den Spannungsfeldern die Zukunft liegen könnte (etwa die E-Sportlerin, die in der Krankenkasse arbeitet) und sie macht Platz in der Gesellschaft für ein Wirken jenseits der Erwerbsarbeit, wo Arbeit wieder so verstanden wird wie der Heilige Bernhard von Clairvaux es im 12. Jahrhundert definierte: Der sprach von „Arbeit als tätiger Liebe“ und nicht von „Paycheck after Paycheck“ (das wiederum war der Rapper Yung Lean).
Manche sprechen beim Spielbein-Job auch von sog. Side-Hustles, von Orten, wo man sich ausprobiert, und Amateur im eigentlichen Wortsinne ist:
Der Amator (lat. Liebhaber) verfolgt eine Sache (zunächst!) aus reiner Liebe, aus verliebter Tüftelei, nicht weil der Chef, die Karriereziele oder der Broterwerb es vorgeben.
Doch dies nur „Side-Hustle“ zu nennen, hieße es der „richtigen“ Arbeit unterzuordnen. Und ist es nicht gerade dieses liebhaberische Arbeiten, dieses sprichwörtliche Schrauben in der Ideengarage, aus denen dann die relevantesten Innovationen, und letztendlich dann die auch die meisten Arbeitsplätze entstehen?
HYBRIDE ARBEIT ALS ZUKUNFTSKONZEPT
Große Hybridarbeiter weisen uns den Weg: Man schaue sich an, welche großartigen Momente der Fotograf Arnold Odermatt in seiner Zeit als Schweizer Polizist fotografiert hat. Dass Max Frisch vormittags Architekt war, sieht man heute noch, etwa an einem Schwimmbad in Zürich. Vielleicht kommt dann auch die vom Nobelpreiskommittee gelobte “narrative Vorstellungskraft” der Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk von ihrer Tätigkeit als Psychologin und der entspannte Flow des Rappers Dexter daher, dass er eigentlich Kinderarzt ist?
Ein Freund erzählte mir letztens von einem Richter in einer großen norddeutschen Stadt, der ein Jagdhorn unter seinem Schreibtisch hat. Er blockt sich gelegentlich Termine, um im schallsicheren Keller des imposanten Gerichtsgebäudes seiner Nebenpassion nachzugehen.
Für diese Art des Arbeitens, dieses Hybride Arbeiten am Bestehenden in der klassischen Standbein-Tätigkeit und am spielerisch Neuen in der Spielbein-Tätigkeit, werden wir in unserer Arbeitswelt mehr Platz machen müssen, wenn uns Fortschritt und Zufriedenheit auf der Arbeit ein Anliegen ist, wenn wir Arbeit wirklich als Entfaltung verstehen wollen.
Dieses Hybride Arbeiten verneint dann auch nicht die Frage nach dem Sinn in der Arbeit, sondern stellt sie auf die richtigen Füße: Nicht die Arbeit bringt mir Sinn, sondern ich bringe Sinn in die Arbeit.
Arbeit ist das Gefäß, ich fülle es. Als Anwältin, die auch Schwimmlehrerin ist, als Bäcker, der programmiert, als schreibende Ingenieurin.
Vielleicht ist hybrides Arbeiten heute noch die Utopie von ein paar Privilegierten, aber haben nicht alle sozialen Innovationen genauso angefangen? Und liegt der Anfang nicht darin als Partyfrage statt “Welche Arbeit gibt dir deinen Sinn?”, “Welchen Sinn gibst du deiner Arbeit?” zu fragen?
Der Autor:
Hans Rusinek forscht an der Universität St. Gallen zum Wandel der Arbeit und ist Mitglied im Promotionskolleg Soziale Marktwirtschaft der Konrad-Adenauer-Stiftung. Davor war er erster Mitarbeiter und Associate Strategy Director der Purpose-Beratung der Boston Consulting Group, BrightHouse. An Debatten zwischen Wirtschaft und Gesellschaft beteiligt er sich etwa in BrandEins oder dem Deutschlandfunk. 2020 gewann er dafür den Förderpreis für Wirtschaftspublizistik der Ludwig-Erhard-Stiftung. Hans engagiert sich ehrenamtlich als Fellow im ThinkTank30 des Club of Rome. Er studierte VWL, Philosophie und Politik an der London School of Economics und in Bayreuth.
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Über den Autor:
Hans Rusinek
Hans Rusinek forscht an der Universität St. Gallen zum Wandel der Arbeit und ist Mitglied im Promotionskolleg Soziale Marktwirtschaft der Konrad-Adenauer-Stiftung. Davor war er erster Mitarbeiter und Associate Strategy Director der Purpose-Beratung der Boston Consulting Group, BrightHouse. An Debatten zwischen Wirtschaft und Gesellschaft beteiligt er sich etwa in BrandEins oder dem Deutschlandfunk. 2020 gewann er dafür den Förderpreis für Wirtschaftspublizistik der Ludwig-Erhard-Stiftung. Hans engagiert sich ehrenamtlich als Fellow im ThinkTank30 des Club of Rome. Er studierte VWL, Philosophie und Politik an der London School of Economics und in Bayreuth.
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